aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Alle Vögel sind schon da

Christel Gewitzsch

Foto: Hermann Knüwer

Zu viele, meinte Landrat Schlebrügge, der 1823 bei den Bürgermeistern des Kreises anfragte, ob er höheren Orts eine Sperlingslieferung zum Schutze der Landwirtschaft beantragen solle, wie zuletzt im Jahr 1819.[1] Beim Bürgermeister Köhler in Bork rannte er mit dieser Frage offene Türen ein. Mehrere Eingesessene, besonders die Besitzer größerer Kolonate, hatten bei ihm schon den Wunsch dazu geäußert, da sich diese Thiere so bedeutend vermehrt und überall unzählige Schaaren anzutreffen seien. Mindestens so viele wie damals sollten abgeliefert werden, meinten die Bauern und der Landrat war überzeugt, dass zur Vertilgung des Ungeziefers immer noch genügend Sperlinge übrig blieben.

Vorgehensweise

Für das Jahr 1823 kam der Vorstoß des Landrats wohl zu spät, aber ein Jahr danach wurde am 23. März in den Gemeinden des Amtes Bork folgende Bekanntmachung publiziert:

Mit Bezug auf die Verordnung im Amtsblatt Seite 51 dient hierdurch zur allgemeinen Kenntniß und Beachtung daß die zu liefernden Sperlinge am Dienstag, d 24. am Freitag d 30. dieses am Freitag d 7. und am Freitag den 13. Monats April auf hiesigem Bureau abgeliefert werden können; außer an diesen Tagen werden keine angenommen. Die Anzahl so jeder zu liefern, ist auf hiesigem Bureau zu entnehmen, es wird hiebei zugleich bemerkt, daß der Sperling noch ganz sein muß, und bloß die Köpfe nicht angenommen werden.

Die Haushalte auf dem platten Land wurden für diese Aktion in drei Klassen eingeteilt. In die erste Klasse gehörten die Vollerben, diese mussten in den meisten Jahren sechs Sperlinge abliefern. Von der zweiten Klasse, die bis zu den größeren Köttern reichte, erwartete man die Lieferung von drei Vögeln und die dritte Klasse, einschließlich der Heuerlinge, brauchte nur noch einen Sperling einzufangen, wie auch die Gartenbesitzer in den Städten. Zur Kontrolle wurden seitenlange Listen über die Familienhäupter erstellt, mit den Angaben, wie viele Tiere sie zu liefern hatten, wie viele wirklich abgegeben wurden, wie hoch die zu zahlenden Strafgelder ausfielen und ob diese auch bezahlt worden waren. Für jeden nicht abgegeben Sperling mussten in den meisten Jahren circa zwei Silbergroschen gezahlt werden. Die Strafgelder kamen den Armenkassen der Gemeinden zu Gute.

Die Einteilung in die Klassen wurde nicht immer widerspruchslos hingenommen. Der Kötter Cohushölter in Cappenberg beschwerte sich 1841 beim Landrat über seine Zuweisung zur zweiten Klasse, nach der er vier Sperlinge und zwei Krähen abzuliefern hatte. Da er seinen Grundbesitz aber selber mit zehn Morgen angab, wies der Landrat die Beschwerde als unbegründet zurück. 

Die Liste

Ganze 34 Seiten umfasst die Liste für die Sperlingsablieferung des Jahres 1824. Erst 1845 fragt Amtmann Stojentin gehorsamst an, ob zur Verhütung überflüssiger Schreiberei nicht eine andere Form der Information gefunden werden könne. Woraufhin der Landrat zustimmt und eine verkürzte Darstellung verordnet. 1824 hätten in allen Bauerschaften Borks 653 Sperlinge abgeliefert werden müssen, 625 waren es tatsächlich. Aus Selm wurden 473 Vögel erwartet und auch gebracht, die Eingesessenen Altlünens mussten 228 Spatzen bringen. Hierbei unterlief dem Listenführer ein Fehler, denn angeblich fehlten sechs Tiere. Hinter dem Namen des Ortsvorstehers Schulze Wethmar waren zuerst keine abgelieferten Vögel verzeichnet worden und bei dem späteren Nachtrag der sechs Sperlinge vergaß man die Korrektur der Addition, so dass Schulze Wethmar zur Zahlung der Strafgelder aufgefordert wurde, was er aber erfolgreich verweigerte. Der Polizeidiener Kalter klärte diesen Irrtum auf. Seine Schwiegermutter habe die Sperlinge in Empfang genommen, ihn aber erst später davon unterrichtet.

Diese Liste und auch die Quittungen der Armenrendanten, die für die Einziehung der Strafgelder in den ersten Jahren verantwortlich waren, mussten beim Landratsamt zur Prüfung eingereicht werden. Und dabei gab es nicht nur 1824 Probleme.

Probleme in Übbenhagen

Foto. Hermann Knüwer

Gleich acht Hausväter aus Übbenhagen hatten versäumt, den einen Sperling zu fangen, der von ihnen erwartet wurde, darunter so prominente Bewohner wie der Rentmeister Franz Geisberg, der Oberförster Daniel Poock, der Lehrer und Vikar Alexander Hochgesang und der Pastor Theodor Kemner. Beim Pastor war dies besonders pikant, weil er als Armenrendant für die Eintreibung der Strafgelder zuständig war. Alle weigerten sich, die Strafe zu zahlen, weil die Verordnung in Cappenberg angeblich nicht publiziert worden war. Bürgermeister Köhler verwies auf die Veröffentlichung im Amtsblatt und führte die anderen 53 Eingesessenen Übbenhagens an, die ihrer Pflicht nachgekommen waren. Der Pfarrer erklärte außerdem, dass er und der Lehrer bisher noch nie zu der Lieferung der Sperlingsköpfe herangezogen worden waren und in Lünen wäre sein Amtsbruder in dieser Sache nicht in Anspruch genommen worden. Er habe doch schon so viele Last und Schreibereyen der Armen wegen, aber er wolle nicht um einen Sperlingskopf streiten. In einer weiteren Liste mit säumigen Zahlern ist der Name des Pastors durchgestrichen. Der Bürgermeister hatte ihn aber nicht von der Lieferung befreit. Die Pastoren von Bork und Selm hätten klaglos die Vögel geliefert, schrieb Köhler, deshalb müsse er es auch vom Übbenhagener Pastor  und Vikar verlangen.

Die vom Landrat wiederholt eingeforderte Quittung konnte der Bürgermeister aber weiterhin nicht liefern, da die Strafgelder für nichtgelieferte Sperlinge nach der anliegenden Angabe des Polizeidieners Kalter in der Güte nicht zu erhalten sind. Als er vom Landrat ein Vollstreckungs-Mandat gegen die Betreffenden erbat, lehnte dieser allerdings ab. Die in Rückstand gebliebenen Eingesessenen seien bemittelt genug, um den Betrag zahlen zu können, schrieb er, sie müssten nur gehörig hieran erinnert werden. Zwei Betroffene fanden sich nach einem weiteren Appell des Polizeidieners zur Zahlung bereit. Wie in diesem Fall weiter verfahren wurde, bleibt unbekannt.

Probleme mit zwei Polizeidienern

Die Sammlung von 1825 verlief ohne besondere Schwierigkeiten, da alle die ihnen aufgetragene Anzahl von Sperlingen ablieferten. Zwei Jahre später jedoch, als wieder Strafgelder eingezogen werden mussten, wirkte sich die fortgeschrittene Trunksucht des Polizeidieners Kalter auch in diesem Geschäftsbereich aus. Fast ein ganzes Jahr dauerte es, bis der Bürgermeister die Quittung über einen Taler und 28 Silbergroschen Strafgeld in Lüdinghausen einreichen konnte. Weder gutes Zureden noch die Androhung von Strafe hatten Kalter bewogen, die Gelder abzuliefern. Der Landrat, obwohl seit 1824 über die Sucht des Polizeidieners informiert, schob die Verantwortung für die Nachlässigkeit des Polizeidieners dem Bürgermeister zu, deshalb bleibt es ungewiss, ob Köhler die Gelder wirklich bekommen hat. Kalter hatte sich zu dieser Zeit nämlich schon an anderen Einnahmen der Gemeinde vergriffen und auch diese nicht zurückgezahlt.[2]

Kalters Nachfolger Friederich Geischer - Kalter starb 1828 - scheint auch den Versuch unternommen zu haben, die Gelder für die Armenkasse in sein Portmonee fließen zu lassen. Bei der Sperlingslieferung 1832 waren in allen drei Gemeinden insgesamt 282 Vögel von 2019 nicht abgegeben worden und als Strafgeld hätten 18 Taler und 24 Silbergroschen gezahlt werden müssen. Während der Selmer Polizeidiener Schwager fünf Taler und zwei Silbergroschen eintreiben konnte und diese auch einzahlte, behauptete Geischer plötzlich, die Angaben zu den fehlenden Tieren seien allesamt falsch. In Bork und Altlünen seien die Strafgelder zu Unrecht angesetzt worden, denn er habe nicht gewusst, dass alle Spatzen bei seiner Frau abgegeben worden waren. Diese Version schätzte der Landrat als sehr unwahrscheinlich ein und  er beauftragte den Bürgermeister, durch Vernehmung aller Beteiligten der Sache nachzugehen. Der Ausgang der Vernehmungen ist nicht vermerkt.

Nun auch Krähen

Im April 1840 richtete Bürgermeister Köhler ein weiteres Gesuch an den Landrat. Die Sperlinge hätten sich so stark vermehrt, dass von den Mitgliedern der ersten Klasse mindestens zwölf Stück gefangen werden müssten. Er kam mit seinem Antrag aber wieder zu spät und wurde aufgefordert, ihn im Oktober noch einmal zu stellen. Im Winter, wenn Schnee liegt, sei eine bessere Zeit zum Fangen, denn schließlich dürften die Tiere nur von den Jagdberechtigten geschossen werden.

Im Oktober dann ergänzte Köhler den Antrag mit der Nachfrage, ob nicht auch eine Krähen Lieferung zu verfügen sei, da diese Thiere sich ebenfalls seit einigen Jahren im Unmaße vermehrt haben, und eine Verminderung acut gewünscht wird. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Acht beziehungsweise vier Sperlinge mussten die erste und die zweite Klasse diesmal liefern, die dritte nur einen. Für die auch genehmigte Krähenlieferung halbierte man die Zahl, die dritte Klasse war davon befreit. Als Strafgeld setzt der Landrat sowohl für Sperlinge als auch für Krähen zwei Silbergroschen an. Ein paar Jahre später vermutete Landrat Schmising wohl zu Recht, dass einige Wohlhabende lieber die Strafgelder zahlten, als sich um das Einfangen der Vögel zu kümmern. Durch das Verdoppeln der Strafe glaubte er, ihnen diesen bequemen Ausweg verleiden zu können.

Vogelschutz

Foto: Hermann Knüwer (Ausschnitt)

Nicht alle Anträge der Ämter wegen dieser Vogelablieferungen wurden genehmigt. Hin und wieder bezweifelte das Landratsamt die Notwendigkeit und befürchtet eine nachteilige Wirkung. Wenn zu viele Sperlinge getötet würden, könne man der schädlichen Insekten nicht mehr Herr werden. 1845 stoppte Münster die Lieferung von Krähen grundsätzlich, da die Erfahrung die überwiegende Schädlichkeit dieser Vögel bisher nicht festgestellt hat.

Von der Bezirksregierung in Münster kamen im Laufe der nächsten Jahre weitere Bekanntmachungen und Verordnungen zum Schutze der Vogelwelt, wie zum Beispiel die folgenden aus dem Jahr 1860[3]:

Unter Hinweisung auf die Amtsblatt-Bekanntmachung vom 8 Juli 1858, wonach das Wegfangen und Blenden der Singvögel, das Zerstören und Ausnehmen ihrer Nester, unter Androhung von Geld- oder verhältnißmäßiger Gefängnißstrafe verboten ist, verordnen wir auf Grund des Gesetzes  über die Polizei-Verwaltung vom 11  März 1850 für den Umfang unseres Verwaltungs-Bezirks, zum Schutze der durch Insecten- und Ungeziefer-Vertilgung nützlich wirkenden Vogelarten Folgendes:

Das Schießen, Fangen und Tödten nachbenannter Vögel: Nachtigall, Blaukehlchen, Rothkehlchen, Laubvogel, Grasmücke, Steinschmätzer, Wiesenschmätzer, Bachstelze, Pinger, Zaunkönig, Pirol, Drossel (Amsel), Goldhähnchen, Meisen, Lerchen, Ammer, Dompfaff, Fink, Hänfling, Zeisig, Stieglitz, Baumläufer (Kleiber), Wiedehopf, Schwalben, Staar, Dohle, Racke (Wandelkrähe), Fliegenschnäpper, Würger, Kuckruck, Specht, Wendehals, Eulen, mit Ausschluß des Uhu und Bussarde (Mauser oder Mausefalken), ist in der Zeit vom 1. December bis einschließlich September, also während des ganzen Jahres, mit Ausnahme der Monate October und November, untersagt.

Ebenso sind alle Vorbereitungen zum Fangen der genannten Vögel, namentlich das Aufstellen von Leimruthen, Vogelnetzen, Schlingen, Dohnen, Sprenkeln, Fangkäfigen u.s.w. so wie das Ausnehmen der Eier oder der Brut, das Zerstören der Nester dieser Vogelarten, und das Feilhalten solcher Vögel – ob lebend oder tot – auf den Wochenmärkten und beim H[...]handel während der genannten 10 Monate untersagt.

Wer diesem Verbote zuwider handelt, fällt in eine Geldstrafe bis zu 10 Thlr., die betreffenden Falles in verhältnißmäßiger Gefängnißstrafe verwandelt wird.

Münster, den 10. April 1860.

Königliche Regierung.

Der Borker Amtmann Foecker veröffentlichte diese Bekanntmachung am 27. April 1860. Dabei ermahnte er Eltern und Vormünder eindringlich, ja darauf zu achten, dass die Kinder die Nester von Singvögeln nicht zerstörten.

November 2015
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[1] StA Selm, AB-1 – 160 und die folgenden Zitate.
[2] mehr dazu: Christel Gewitzsch, Ruthenhiebe und Lebenshülfe, Polizeiarbeit im Amt Bork 1815-1866, Selm 2014, S. 50ff.

[3] StA Selm, AB-1 – 412.

 
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