aktenlage
Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Die Straße ist kaputt

Christel Gewitzsch

Die Reparatur der Straße von Selm nach Südkirchen

Schon einige Male hatte Landrat Graf von Wedel den Borker Amtmann Busch auf den schlechten Zustand der Straße von Selm nach Südkirchen aufmerksam gemacht, ohne dass eine Reparatur in Angriff genommen wurde. Ein Grund dafür mag die Unkenntnis über den genauen Grenzpunkt gewesen sein, bis zu dem die Gemeinde Selm für den Unterhalt dieser Chaussee verantwortlich war. Anfang 1899 nahm das Amt diese offene Frage in Angriff.

Vermessung der Straße

Unter der Leitung der Amtmänner Press aus Ascheberg und Busch aus Bork machten sich die Polizeidiener Imholt (Nordkirchen) und Thier (Selm), der Wegearbeiter Blomenkemper (Selm) und der Bürolehrling Ferdinand Sommer (Selm) an eine genaue Vermessung der Straße. Über Anfang und Endpunkt und die zu verwendende Messhilfe von fünfzehn Metern Länge konnte man sich schnell einigen. Auf vier Streckenabschnitten ermittelte die Arbeitsgruppe folgende Längen:

1. Straße in Selm von dem Durchlaß bei Ww. Pieper
    bis zum Beginn der Chaussee hinter Forsthövel                                   203 m

2. Chaussee von Selm bis zur Gemeinde Grenze Funnebrücke            4185 m

3. Chaussee von letzterem Punkte bis zum Pflaster in Südkirchen      1185 m

4. Pflaster in Südkirchen bis zum Durchlaß jenseits Meinke                   435 m

im Ganzen                                                                                                      6008 m [1] 

Von dieser Gesamtlänge musste die Gemeinde Selm 2403,20 Meter warten. Bei den späteren Arbeitsbeschreibungen ist aber immer nur von 2200 Metern die Rede. Um die Zuständigkeiten ein für alle Mal festzuhalten, vereinbarten die Amtmänner die Setzung eines Steines an der Unterhaltungsgrenze. Dazu traf sich die Gruppe, ergänzt durch den Selmer Gemeindevorsteher Witthoff, am 6. März 1899 erneut an der Straße und grub einen großen Stein ein, der genügend weit aus dem Boden hervorragte. Dieser Grenzvermerk wurde allseitig als richtig anerkannt. Dann vergingen einige Jahre.

Der Landrat macht Druck

Am 4. März 1903, zwei Tage nachdem der Landrat in Bork eine kurze Revision der Geschäftsführung des Amtmanns abgehalten und dessen Büro in guter Verfassung vorgefunden hatte, bat er den Kreisbaumeister Wethmar in Lüdinghausen um einen kurzen Straßenzustandsbericht. Wethmar fand eine komplett abgenutzte Oberlage vor, Vertiefungen und Löcher waren aber noch nicht vorhanden. Ein Jahr könne die Straße noch genutzt werden, schrieb Wethmar, dann aber müsse unbedingt eine Reparatur erfolgen. Besonders dringend, am besten umgehend, sei diese für die circa 800 Meter lange Strecke gleich hinter dem Dorf Selm vorzunehmen.

Daraufhin veranlasste der Landrat den Amtmann, der Gemeindevertretung von Selm eine Vorlage wegen außerordentlicher Überschüttung der Strecke zu machen und [ihm] bis 1. November cr. zu berichten, was zur Rettung der arg gefährdeten Strecke geschehen wird. Besser [sei] es, den Bau neuer Straßen nicht zu beginnen, so lange die Mittel fehlen, die bestehenden in ordnungsmäßigem Zustande zu erhalten.

Noch vor dem Ende dieser Frist teilte Amtmann Busch dem Landrat den Beschluss der Selmer Gemeindevertretung mit, die von Selm zu unterhaltende Strecke der Chaussee Selm-Südkirchen (2200 m) jetzt ganz neu zu decken. Ob Basalt oder Hochofenschlacke verwandt werden soll ist noch nicht bestimmt. Mit der Anfuhr wird gleich nach Beendigung der Ackerarbeiten begonnen werden. Ueber die Beschaffung der Mittel (ca. 8000 M) steht der Beschluß noch aus.

Materialbeschaffung

Das Material für eine neue Straßendecke wurde Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr wie noch 50 Jahre zuvor aus der unmittelbaren Umgebung genommen, obwohl der Kreisbaumeister in seinem ersten Kostenanschlag die Variante mit Selmer Steinen auch berechnet hatte. Inzwischen gab es einen regen Baustoffhandel, der nach Bekanntgabe der Pläne seine Angebote in Bork abgab. Basaltbrüche aus Oberdollendorf am Rhein, die Basalt-Aktien-Gesellschaft aus Linz, das Spezial-Geschäft zur Verwertung von Hochofenschlacken von Carl Lotz & Cie. in Essen, die Baumaterialien-Großhandlung von Carl Risch, ebenfalls in Essen, die Bergisch-Märkische Stein-Industrie aus Köln, die Eisen- und Stahlwerke Hoesch AG in Dortmund, Frau August Dickmann aus Bottrop und der Dortmunder Dampfwalzenbetrieb der Gebrüder Helmus offerierten ihre Dienste. Während die Gebrüder Helmus auch Steine verkauften, warb der Straßenwalzenbetrieb H. Schubert aus Dortmund nur mit seinen von tüchtigen zuverlässigen Maschinisten geführten Walzen, die vor einiger Zeit schon in Südkirchen, Ascheberg und Herbern zum Einsatz gekommen waren. Abgewickelt wurden die Reparaturarbeiten an der Straße mit den Firmen Carl Lotz, Helmus und der Basalt AG aus Linz.

Als letzte Bedeckung der Packlage benötigte man 264 Kubikmeter Senkelsand, die vor Ort gekauft werden sollten. Nur zwei Angebote finden sich in der Akte. Die Witwe Holz-Ophaus und der Kötter Bernard Droste bewarben sich um diese Lieferung. Wer den Auftrag erhielt, ist nicht gesagt.

Leistungsverzeichnis

In dem vom Kreisbaumeister Wethmar erstellten Kostenanschlag über die Neuschüttung der Chaussee gab er auch Anweisungen, wie bei der Reparatur zu verfahren sei. Nachdem die Steine auf der gereinigten Unterlage regelgerecht und gut nach Angabe eingebaut waren, mussten sie mit einer Dampfwalze bis zur vollen Dichtigkeit fest gewalzt werden. Währenddessen und danach war der Bedeckungssand gleichmäßig zu verteilen. Bei zu trockenem Wetter konnte es erforderlich sein, den Sand anzufeuchten. Wethmar ging davon aus, dass in einer elfstündigen Arbeitsschicht nicht mehr als 150 Meter fest gewalzt werden konnten. Zum Schluss stand noch das Planieren der Bankette und das Ausheben und Reinigen der Gräben auf beiden Seiten der Straße an. Von diesen letzten Arbeiten liest man später nichts mehr. 

Materialtransport

Der Schlacken- und Basaltkleinschlag wurde von den Firmen in Eisenbahnwaggons „just-in-time“ und frachtfrei vom 9. November 1903 bis zum 19. Dezember über die Güterabfertigung in Dortmund zum Bahnhof Selm geliefert, wo sie von Fuhrunternehmern abgeholt und zur Chaussee gebracht wurde. Die Fuhrleute konnten in Absprache mit der Gemeinde selber bestimmen, wie viele Sendungen täglich an sie geschickt werden sollten. Für die Einholung der Nachricht über das Eintreffen, für die rechtzeitige Entladung und Abfuhr waren sie laut Vertrag dann selber verantwortlich.

Als Adressat hatte der Amtmann der Firma Lotz den Mühlenbesitzer Walter aus Selm benannt. Der wünschte sich von der Lieferfirma, sie solle nach Möglichkeit täglich vier Waggons nach Selm schicken, um diese gleichmäßig auf vier Fuhrleute verteilen zu können. In der Regel kamen aber zwei bis drei Waggons am Selmer Bahnhof an, was die Firma mit einer Störung des Betriebs wegen schlechten Wetters begründete. Die Lieferungen wurden dem Amtmann per Postkarten avisiert.

Rechnungen

In der Abschlussrechnung über die Fuhren sind für den Mühlenbesitzer Walter 297 Mark, den Kötter Bernard Droste 262,50 Mark, den Kolon Bergmann aus Selm 280,80 Mark und den Kötter Bernard Isermann aus Vinnum 178,80 Mark eingesetzt. Insgesamt transportierten die vier 615 Kubikmeter Schlacke und fünfzig Kubikmeter Basalt. Ihre Entlohnung differierte je nach Entfernung des zu beliefernden Straßenabschnitts.

Der Chausseearbeiter Theodor Nieswind erhielt für das Einbauen von 654,50 Kubikmeter Kleinschlag insgesamt 458,15 Mark. Die Differenz erklärt sich aus den zehneinhalb Kubikmetern Schlacke, die der Wirt Heitmann bei dieser günstigen Gelegenheit von der Gemeinde für private Zwecke erworben hatte. Material und Anlieferung kosteten ihn 73,50 Mark.

Für die Walzarbeiten auf der Straße standen der Dortmunder Firma Gebrüder Helmus pro laufenden Meter 30 Pfennig zu, für 2200 Meter demnach 660 Mark.

Eine Abschlussrechnung der Firma Lotz liegt in dieser Akte nicht vor. Rechnet man das von ihr abgegebene Angebot nach, muss sie für die Schlackenlieferungen rund 3200 Mark erhalten haben. Insgesamt hat die Neuschüttung der Straße circa 5870 Mark gekostet, einschließlich der Sandlieferung, über die genaue Angaben fehlen, von Wethmar in seiner Aufstellung aber mit 528 Mark eingerechnet worden war. Gegenüber der ersten Kostenaufstellung durch den Kreisbaumeister, der für eine reine Basaltschüttung an Gesamtkosten 8700 Mark und für die Arbeit mit Selmer Steinen 7350 Mark veranschlagt hatte, scheint die Gemeinde die Straßenausbesserung günstig realisiert zu haben.

März 2016
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[1] StA Selm, AB-1 – 134.

 
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