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Zeitschrift für Regionalgeschichte Selm und Umgebung - ISSN 2366-0686

Über Trauungen und Taufen der Juden

Christel Gewitzsch

Als Westfalen 1815 zu Preußen kam, wurden die Bestimmungen des damals recht fortschrittlichen preußischen Emanzipationsedikts von 1812 für die jüdischen Einwohner Westfalens nicht übernommen. Alles sollte so bleiben wie es war. In der neuen Provinz galten daraufhin fünf unterschiedliche Rechtssituationen. Für die ehemaligen Untertanen des Großherzogtums Berg waren das im Wesentlichen die Regeln des Großherzogtums. Und als der Landrabbiner in Münster, Abraham Sutro1, 1824 einen Brief der Regierung erhielt, mit dem Vorwurf, ohne Genehmigung ... Copulationen mit Ausländern und Ausländerinnen vorzunehmen,[2] erinnerte der Schreiber daran, dass Sutro bei seiner Anstellung 1815 auf das General Juden Reglement vom 14. April 1750 verwiesen worden sei. (Eine Zuweisung, die von der Berliner Regierung wiederum nicht anerkannt wurde.) Noch einmal wies man den Rabbiner an, von jetzt an, bei einer empfindlichen Strafe keine Copulationen vorzunehmen, ohne nicht deshalb die Genehmigung der landräthlichen Behörde, und zwischen Ein- und Ausländern von uns erfolgt.

Diese Mahnung an den Landrabbiner schickte die Regierung ebenso an die Landräte, die die Ortsbehörden aufforderten, in vorkommenden Trauungsfällen der Juden Anzeige zu erstatten.

Als Landrat Schlebrügge vom Borker Bürgermeister Köhler nichts hörte, hakte er zwei Jahre später nach und schrieb:
Da die Erfahrung gelehrt hat, daß noch immer Copulationen unter jüdischen Glaubensgenossen, ohne vorherige obrigkeitliche Erlaubniß vorgenommen werden, wodurch nicht nur in Hinsicht auf die Staatsbürgerlichen Verhältnisse, sondern auch auf ihre persönlichen Umstände Nachtheile entstehen, welche als dann nicht zu beseitigen sind, so hat die hochlöbliche Regierung verordnet, daß diejenigen welche Copulationen zwischen einheimischen Juden ohne Erlaubniß der landräthlichen Behörde, zwischen Fremden und einheimischen aber ohne Erlaubniß der hochlöblichen Regierung verrichten in eine Ordnungsstrafe von 5 bis 100 Th., und wenn es jüdische Beamte sind, nach Befund der Umstände mit Suspension bestraft werden sollen; das Copuliren Fremder, oder einem anderen Regierungsbezirk angehörigen Personen ohne besondere Erlaubniß der betreffenden Königl. Regierung gleiche Strafe nach sich ziehen soll.
Sie haben diejenigen, welche solche Handlungen verrichten, hiemit bekannt zu machen, und darüber zu Protokoll zu verbinden, auch diese Verordnung in der Synagoge anschlagen zu lassen, zugleich werden Sie aufgefordert, mir diejenigen Trauungen namhaft zu machen, welche unter den jüdischen Glaubens-Genossen, in Ihren Gemeinden nachdem Ihnen mittels Verfügung v. 10. Juni 1824 das desfalsige Rescript der hochlöblichen Regierung v. 1. Junii d. J. mitgetheilt wurde, vorgekommen sind.

Zwei Anträge auf Heiratserlaubnis

Zu dem o.g. Zeitpunkt konnte Köhler sich kurzfassen. Es waren in der verflossenen Zeit keine Trauungen in den hiesigen Gemeinden unter den jüdischen Glaubensgenossen vorgekommen. Im Januar 1824 hatte es die letzte Trauung zwischen Abraham Melchior und Schönchen Herz gegeben. Erst zwei Jahre später meldete Köhler nach Lüdinghausen den Wunsch des Meyer Levy aus Bork, sich mit der Chanetti Levy, gebürtig und wohnhaft zu Metten bei Burgsteinfurt zu verehelichen. Dafür musste nun der Landrat die Genehmigung erteilen. Köhler meinte, das Gesuch mit einem Kommentar versehen zu müssen und ergänzte: Es wäre sehr zu wünschen wenn der Vermehrung der Juden dahin Schranken gesetzt werden könnten, und will ich Ew. Hochwohlgeboren anheim geben, ob nicht die gewünschte Erlaubniß zu verweigern sein dürfte.

Schlebrügge machte ihm klar, daß keine gesetzliche Bestimmung vorhanden, wornach die Heirathen der Juden zu inhibiren [verhindern] und kann es ansäßigen Juden nicht versagt werden, eine Braut, bei nachgewiesener Unbescholtenheit heimzuführen. Um aber die Genehmigung erteilen zu können, benötigte er noch die Namen der Eltern des Bräutigams, den Namen der Braut und den Nachweis über den bisherigen unbescholtenen Lebenswandel der letzteren.

Dies schrieb der Landrat im April 1828. Köhler antwortete im Februar 1829. Zwischendurch erinnerte Schlebrügge im Juli 1828 den Bürgermeister an die fehlenden Angaben und fragte an, ob die Heiratsabsicht rückgängig gemacht oder sogar die Heirat ohne Erlaubnis schon vorgenommen worden war. Die ihm gegebene Frist von acht Tagen überschritt Köhler um elf Tage, verneinte die landrätlichen Fragen und schob die Verzögerungen indirekt dem Bräutigam zu.

Nachdem Köhler im Februar dann gleich beide Elternpaare benannte (Levy Meier und Hanna Alexander, Levy Moser und Bella Philipp) und das Attest für die Braut einsandte, stellte Schlebrügge am 5. März 1829 folgende Heiratserlaubnis aus: Daß der Trauung des zu Borck angesessenen Handelsmanns Meier Levy mit der Jeanette Levy Moyses aus Metelen, Tochter der Handelsleute Levy Moyses und Bella Philip daselbst in polizeilicher Hinsicht nichts entgegensteht wird hierdurch bescheinigt, und gemäß der Verfügung hochlöblicher Regierung vom 25. May 1826 die Erlaubniß zur Copulation hierdurch ertheilt.

Bei der zweiten Beantragung einer Heiratserlaubnis im Jahr 1829 ging es nur scheinbar schneller. Köhler wusste nun zwar, was tun war und gab in dem Schreiben an den Landrat die nötigen Informationen, doch lässt der letzte Satz des Briefes vermuten, dass auch in diesem Fall eine Verzögerung stattgefunden hatte. Köhler schrieb:
Ew.Hochwohlgeboren beehre ich mich die mir von dem dahier wohnenden Handelsjuden Isak Levy übergebene Atteste über das Betragen seiner Braut mit dem Ersuchen gehorsamst vorzulegen, demselben den gewünschten Heiraths-Consens ertheilen zu laßen. Ich bemerke hiebei, daß der abgelebt Vater des Bräutigams Levy Meyer geheißen die noch lebend Mutter Josephina Isak und die Eltern der Braut Anschel Herz und Bella Jacob, welche beide todt sind und in Sendenhorst wohnhaft gewesen, geheißen haben. Der Isak Levy ist Willens heute 8 Tagen zu heirathen bis wohin demselben der Consens zurückzuerhalten wünscht da er schon alles zur Heirath vorbereitet hat, und der frühere Antrag durch den Abgang der Anlagen ausgestellt worden.

Vier Tage nach dem Schreiben des Bürgermeisters stellte der Landrat das nötige Papier aus.

Neuerungen

Die hier zugrunde liegende Akte betreffend die Trauungen der Juden wurde nur bis 1843 geführt. Im Trauungs-Register[3] tauchen bis dahin noch acht weitere Heiraten in Bork auf. Von denen ist in der Akte nichts mehr zu lesen, denn Anfang 1832 bestimmte das Ministerium des Innern und der Polizei die Abschaffung der obrigkeitlichen Heiratserlaubnis für die jüdische Bevölkerung. In der Akte geht es in den weiteren Schreiben um die Erinnerung an und Aufklärung über die Vorschriften.

Das begann schon 1831, als die Regierung in Münster wieder einmal die Vernachlässigung der Vorschriften beklagte. Ehehindernisse und die Rechte der Kinder einer ersten Ehe bei Abschluss einer zweiten würden nicht genügend berücksichtigt. Da aber die Trauungen unter den Juden auch von Hausvätern vorgenommen wurden, bei denen man die Gesetzeskenntnis nicht voraussetzen konnte, sollten die jüdischen Beamten, die das Aufgebot in den Synagogen entgegennahmen, in die Pflicht genommen werden. In ihrer persönlichen Verantwortung lag es nun, die Aufgebote erst nach Klärung aller Erfordernisse entgegenzunehmen, die Verordnung wegen der Heirats-Konsense zu beachten und auch die privatrechtlichen Konsequenzen der Heirat im Auge zu halten. Wenn bei ihnen Zweifel aufkamen, sollten sie sich an die Gerichtsbehörde wenden, unter deren Aufsicht sie von jetzt an standen.

Der Personenkreis, der Trauungen vornehmen durfte, änderte sich im Laufe der Jahre. Landrabbiner Sutro meldete sich immer wieder und benannte Männer, die nach den Ritual-Gesetzen Trauungen seiner Glaubensgenossen vornehmen durften. 1843 ergänzte die Regierung diese Benachrichtigungen, indem sie klarstellte, dass nicht allein die ... durch specielle Verfügungen namhaft gemachten Personen zu Trauungen jüdischer Glaubens-Genossen berechtigt [seien], sondern nunmehr auch überhaupt Rabiner, Synagogen-Vorsteher und nach jüdischen Ritual-Gesetzen hierfür geeignete jüdische Hausväter. In dem Zusammenhang verwies sie auf die im Amtsblatt von 1837 bekannt gemachten Erläuterungen der Vorschriften von 1831.

Auf acht Paragrafen des Allgemeinen Landrechts nahmen die Ministerien des Innern, der Justiz und des Unterrichts dabei Bezug. Da aber eine Vereinheitlichung der Verordnungen für alle Landesteile noch nicht stattgefunden hatte, musste parallel hierzu bestimmt werden, für wen was galt und ob eventuell für die Teile, in denen das Allgemeine Landrecht zwar gesetzliche Kraft hatte, aber die Verordnung von 1812 nicht eingeführt war, besondere Bestimmungen erlassen werden musste.

Einfacher wurde es für alle Beteiligten erst mit dem Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847. Darin heißt es:
§. 12. Der ehelichen Verbindung muß ein Aufgebot vorangehen. Dasselbe ist bei dem Richter des Orts, an welchem die Brautleute den Wohnsitz haben, und wenn dieselben in verschiedenen Gerichtsbezirken wohnen, bei  jedem der beiden Richter in Antrag zu bringen, und erst dann zu veranlassen, wenn sich der Richter die Ueberzeugung verschafft hat, daß die zur bürgerlichen Gültigkeit der Ehe gesetzlich notwendigen Erfordernisse vorhanden sind. Das Aufgebot erfolgt durch eine an der Gerichtsstelle und gleichzeitig an dem Rath- oder Orts-Gemeinde-Hause, in dessen Ermangelung aber an der Wohnung des Ortsvorstehers, während 14 Tagen auszuhängende Bekanntmachung.
§. 13. Zur Eintragung der Ehe in das Register ist erforderlich:
1) der Nachweis des Aufgebots (§. 12.);
2) die persönliche Erklärung der Brautleute vor dem Richter, daß sie fortan als ehelich mit einander verbunden sich betrachten wollen.
§. 14. Die bürgerliche Gültigkeit einer solchen Ehe beginnt mit dem Zeitpunkt der Eintragung der Ehe in das Register
.[4]

Über Taufen der Juden

Seit September 1818 gab es die Verpflichtung, über die im Laufe des Jahres getauften Juden, und Juden-Kinder[5] Bericht zu erstatten. Bürgermeister Köhler schrieb im Februar 1822 an den Landrat: Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich hierdurch der Vorschrift gemäß gehorsamste anzuzeigen, daß im verflossenen Jahre bis hierhin in meinem Bezirke weder Juden noch Judenkinder getauft worden sind. Dies war die erste Anzeige dieser Art. Fünfzehn weitere folgten, wenigsten sind weitere fünfzehn in der Akte zu finden, immer mit demselben Inhalt. Im November 1848 teilte der Landrat den Ortsbehörden mit, dass diese Berichterstattung nicht mehr erforderlich sei.

Nur noch zwei weitere Schreiben sind in der Akte enthalten. Das erste von 1836 beauftragte den Amtmann, den Vorstehern und Cultusbeamten der Juden zu bedeuten, daß nach allerhöchstem Befehle Sr. Majestät des Königs den Juden nicht gestattet sein soll, christliche Taufnahmen als Vornamen zu führen, und darauf zu halten, daß künftig keinem Juden ein christlicher Vornahme beigelegt werde.

Über Konversion der Christen

1855 schreckte die Regierung in Münster auf, als ihr zu Ohren kam, dass christliche Frauen, von Juden geschwängert, [die] Absicht geäußert haben, gesetzwidrig zum Judentum überzutreten. Die Verfügung dazu sollten die Bürgermeister den Vorstehern der jüdischen Gemeinden in Erinnerung bringen, was in Bork umgehend geschah.

Vor der Einführung der Zivilehe 1875 war eine Eheschließung zwischen christlichen Frauen und jüdischen Männer ein sehr seltener Fall, so auch der Übertritt zum Judentum. Ein „ungeheuerlicher und anstößiger Vorfall!“[6] sei dies, schrieb ein Pfarrer an die Regierung und war mit dieser Meinung nicht allein. Zwar war nach dem Allgemeinen Landrecht – von ersten Entwurf abgesehen - die Ehe zwischen Juden und Christen nicht verboten, doch wurde die Formulierung, dass ein Christ mit Personen, die von ihrer Religion gehindert werden, sich den christlichen Ehegesetzen zu unterwerfen habe, als Verbot ausgelegt. Die unglückliche Aussage gab umfangreichen Diskussionen Platz. Friedrich Wilhelm III. legte sie – wie auch die Kirche – als Weiterbestehen des Verbots aus.

Für christlich/jüdische Paare war mit dem Verbot der Mischehe und des Übertritts zum Judentum somit eine Legalisierung ihres Zusammenlebens nur durch die Taufe des jüdischen Partners möglich. Nach dem Gesetz galt zwar volle Glaubensfreiheit, doch die „Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den Juden“, an deren Spitze sich der König stellte, propagierte die Taufe als das bestgeeignete Mittel zur Integration. In den wenigen geplanten Übertritten von Christen zum Judentum sahen kirchliche und konservative Kreise den christlichen Staat dem Untergang geweiht.

Apropos: Landrabbiner

In dem Schreiben über die Abschaffung der Heiratserlaubnis (1832) ging es auch noch um den Landrabbiner Sutro. Regierungsvizepräsident von Schlechtendahl gab die Auffassung des Innenministeriums weiter, dass kein Grund vorhanden [sei] von Seiten der Staats-Verwaltung auf die Beibehaltung der Landrabiner zu halten.[7] Sie seien keine Beamten, sondern Ratgeber der Juden und sofern ihnen keine Besoldungszusage gemacht worden war, sei es den Judenschaften selbst zu überlassen, ob sie einen solchen beibehalten und wie sie für dessen Remuneration sorgen wollen. Vorläufig sollte es aber bei den bisherigen Verfahren hinsichtlich der Gehalts Aufbringung für den Land Rabiner bleiben.

Wie dieses Verfahren aussah, zeigte sich im Februar 1834, als ein weiterer Brief Schlebrügges in dieser Angelegenheit in Bork eintraf. Der Landrabbiner hatte sich an die Regierung gewandt und gebeten, sein Gehalt, welches 350 Taler umfasste, auf 500 Taler zu erhöhen. Seine Familie mit acht Kindern könne er ansonsten nicht ausreichend versorgen. Die Regierung wünschte, so Schlebrügge, dass die jüdischen Gemeinden dem Landrabbiner die Erhöhung bewilligten, wozu einige sich schon bereit erklärt hatten. Der Vorsteher der Borker Gemeinde Jacob Moses musste für diesen Zweck zum Landratsamt, wo als dann über die Gehaltserhöhung des Landrabiners Sutro verhandelt werden soll und wo er sich über die Einwilligung zu der fraglichen Gehaltserhöhung zu erklären hatte.
Abraham Sutro blieb bis zu seinem Tode 1869 im Amt. Einen Nachfolger gab es nicht.

Januar 2024
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1. Siehe dazu: Bernhard Brilling, Abraham Sutro (1784-1869), lwl.org/westfälische-geschichte.
2. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 310.
3. Stadtarchiv Selm, AB-1 – 670.
4.  Gesetz betreffend die Verhältnisse der Juden in den Königlich Preußischen Staaten, Nordhausen 1847, BSB digital, digitale-sammlungen.de.  
5. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 311.
6. Und folgende Zitate: Donate Strathmann, Ein „ungeheuerlicher und anstößiger Vorfall“: Konversionen zum Judentum und jüdisch-christliche Eheschließungen in Westfalen (1816-1846), Westfälische Zeitschrift 149, 1999 / Internet-Portal "Westfälische Geschichte" URL: http://www.westfaelische-zeitschrift.lwl.org.
7. Und folgende Zitate: Stadtarchiv Selm, AB-1 – 310.

 
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